Wanfrieder Abkommen vom 17. September 1945
Von Artur Künzel
In der Endphase des 2. Weltkrieges (1939 - 1945) waren die amerikanischen
Streitkräfte unaufhaltsam und ohne nennenswerten Widerstand in Deutschland nach
Osten vorgestoßen.
Am 7. April 1945 wurde Witzenhausen von den Amerikanern besetzt, am 8. April die
damals thüringischen Dörfer Werleshausen und Neuseesen. Thüringen und der größte
Teil von Sachsen waren Mitte des gleichen Monats von den Amerikanern erobert,
und am 24./25. April 1945 berührten sich die Spitzen der amerikanischen und
sowjetischen Truppen bei Torgau an der Elbe.
Die bedingungslose Kapitulation Deutschlands erfolgte am 7./8. Mai 1945. Die
geplanten Besatzungszonen wurden jedoch in wesentlichen Teilen erst im Laufe der
Monate Juni/Juli von den Siegermächten festgelegt und eingenommen. Im Verlaufe
dieser Aktion mussten sich die amerikanischen Streitkräfte aus Sachsen und
Thüringen zurückziehen; die Gemeinden Werleshausen und Neuseesen im Kreis
Heiligenstadt wurden somit Anfang Juli 1945 von den Amerikanern geräumt und von
russischen Soldaten besetzt.
Aus der Zeit der 3-monatigen Besatzung durch die Russen sind leider keine
Bilddokumente vorhanden. Fotoapparate und Uhren mussten bald nach Einzug der
Russen ins Dorf abgeliefert werden. Der Gemeindediener gab die Befehle der
Russen bekannt. Umfangreiches Mobiliar musste zur Verfügung gestellt werden, die
Dorfbewohner hatten für die Verpflegung der über 30 Rotarmisten zu sorgen. Des
öfteren fanden die sehr gefürchteten Hausdurchsuchungen statt. Die Werleshäuser
mussten einen hohen Bretterzaun um die russische Kommandantur bauen. Die Frauen
hatten eine sowjetische Fahne zu nähen. Da Stoffe zu dieser Zeit sehr schwer zu
beschaffen waren, nahm man alte Hakenkreuzfahnen, die noch nicht zu Schürzen
verarbeitet waren und fertigte davon rote Sowjetfahnen an.
Die westlichen Besatzungsmächte legten die Zonengrenzen untereinander endgültig erst Ende Juli 1945 fest. Danach wurde Bremen mit Bremerhaven als Hafen eine amerikanische Enklave in der britischen Zone und die US-Zone so abgegrenzt, dass der Weg von Bremen durch britisches Besatzungsgebiet verhältnismäßig kurz war. Aus diesem Grunde kam das ehemalige Kurhessen bzw. die Provinz Hessen - Nassau und damit auch der Kreis Witzenhausen zur amerikanischen Zone.
Allerdings lief die für die Amerikaner wichtige Nord-Süd-Eisenbahnverbindung
Bremen - Hannover - Göttingen - Eichenberg - Bebra nicht nur durch britisches
Besatzungsgebiet, das spätere Niedersachsen, sondern im Raum Neuseesen /
Werleshausen auch ca. 3 Kilometer durch die Sowjetzone, und zwar von etwa Mitte
Bebenroth-Tunnel bis Mitte Eisenbahnbrücke bei Oberrieden.
Diese Bahnlinie wurde im Bereich Eichenberg/Neuseesen/Werleshausen/Oberrieden
scherzhaft von den Bewohnern "Whisky-Wodka-Linie" genannt, anspielend auf die
jeweils bei den amerikanischen und russischen Soldaten bevorzugten Getränke
Whisky und Wodka.
Infolge erheblicher Störungen auf diesem Streckenabschnitt durch
die Russen, u. a. wurde ein deutscher Lokomotivführer von einem Sowjetsoldaten
erschossen, wurde am 17. September 1945 in Wanfried eine Grenzkorrektur zwischen
der amerikanischen und sowjetischen Besatzungsmacht vereinbart.
Die Verhandlungen zwischen der amerikanischen Delegation, an der Spitze
Brigadegeneral W. T. Sexton, und der sowjetischen, unter Führung von
Generalmajor V. S. Askalepov, haben zunächst im Hof des Keudelschen Schlosses in
Wanfried, Ecke Marktstraße/Martinsgasse, und danach im damaligen Hotel Rexrodt
(heute Hotel "Zum Brombeermann" an der Ecke Martinsgasse/Kirchstraße),
stattgefunden. Das Hotelgebäude wurde stark bewacht, Verhandlung und
Begleitumstände blieben von der Wanfrieder Bevölkerung weitgehend unbeachtet.
In der Vereinbarung heißt es fälschlicherweise Wanfried/Saxony,
Wanfried/Sachsen, obwohl die Stadt Wanfried auch im September 1945, zum
Zeitpunkt der Unterzeichnung, hessisch war.
Der Vertragstext ist relativ kurz. Es wird mit keinem Wort auf die tatsächlichen
Gründe dieser Grenzkorrektur eingegangen. Nicht einmal die Dörfer, die
ausgetauscht werden sollen, sind im Text erwähnt.
Wichtiger Bestandteil der Vereinbarung ist daher eine angefügte Karte, auf der
die alte und die neu festgelegte Demarkationslinie eingezeichnet sind.
Aufgrund der geänderten Demarkationslinie führte die für die Amerikaner wichtige
Eisenbahnstrecke jetzt nicht mehr durch sowjetisches Besatzungsgebiet.
Als Folge der Grenzänderung wurden nachstehende Gemeinden ausgetauscht:
die hessischen Dörfer: | Einwohner | Fläche |
Sickenberg | 47 | 111 ha |
Asbach | 181 | 349 ha |
Vatterode | 97 | 100 ha |
Weidenbach/Hennigerode | 104 | 201 ha |
429 |
761 ha |
kamen vom Kreis Witzenhausen (amerikanische Besatzungszone) zum Kreis Heiligenstadt (sowjetische Besatzungszone);
die thüringischen Dörfer: | Einwohner | Fläche |
Neuseesen | 116 | 217 ha |
Werleshausen | 444 | 628 ha |
560 |
845 ha |
kamen vom Kreis Heiligenstadt (SBZ) zum Kreis Witzenhausen (US-Zone).
Die Gemarkung Werleshausen ist heute 653 ha groß, die Gemarkung Neuseesen,
einschließlich Gemarkungsteil Bornhagen, 312 ha (Stand: 31.12.1980);
Werleshausen hat 552 Einwohner und Neuseesen 94 Einwohner (Stand: 31.12.1980).
Die Folgen der Grenzkorrektur und des Gebietsaustausches waren für die Menschen
in den betroffenen Gemeinden mannigfaltig, obwohl die hessisch-thüringische
Grenze im Bereich des ehemaligen Kreises Witzenhausen nie eine Trennungsgrenze
gewesen war und zu allen Zeiten vielfache enge Beziehungen zwischen dem Raum
Witzenhausen und der benachbarten thüringischen Region bestanden haben. Die
wichtigsten Änderungen für die Bewohner der zum Kreis Witzenhausen gekommenen
Dörfer Neuseesen und Werleshausen betrafen: grundbuchamtliche Belange, das
Brandversicherungswesen und kirchenorganisatorische Zugehörigkeit. Seit dem 1.
Januar 1972, bedingt durch eine Gebietsreform, sind die Dörfer Werleshausen und
Neuseesen Stadtteile der Stadt Witzenhausen.
Übersetzung des englischen Textes des Wanfrieder Abkommens vom 17.9.1945:
VEREINBARUNG Hauptquartier der 3. Division der US-Armee 17. September 1945 Brigadegeneral Sexton, der Vertreter des amerikanischen Hohen Kommandos, kommandierender General der 3. Infanterie-Division und der Vertreter des sowjetischen Hohen Kommandos, Generalmajor Askalepov, kommandierender General der 77. Gardeinfanterie-Division, sind von ihren jeweiligen Regierungen befugt, die bestehende Demarkationslinie zwischen den Kreisen Witzenhausen und Heiligenstadt zu ändern und haben bei einer Zusammenkunft in der Stadt Wanfried/Sachsen, Deutschland, am 17. September 1945 folgende Vereinbarung unterzeichnet: VEREINBARUNG 1. Es wird zwischen den Unterzeichneten, den autorisierten Vertretern ihrer jeweiligen Regierungen, gemeinsam vereinbart und festgesetzt, daß mit Wirkung vom 17. September 1945 die Grenze zwischen der US-Besatzungszone in Deutschland, wie auf der angehefteten Karte (Anlage Nr. 1) - Deutschland: 1:25000, Kartenblätter 4625, 4626 angegeben, geändert wird. 2. Der Rückzug der Truppen zu der neu festgelegten Demarkationslinie wird bis 19. September 1945, 18.00 Uhr, amerikanische Zeit, abgeschlossen. 3. Die in den bezeichneten Gebieten wohnende
Bevölkerung bleibt dort mit ihrem Eigentum. UNTERZEICHNET: 1. Kommandierender General der 3.
Infanterie-Division, ZEUGEN: Sowjets: |